Geduld

Geduld war noch nie meine Stärke. Egal in welcher Lebenssituation. Und doch: sie wird mir derzeit täglich abverlangt. In diesen Zeiten, wo uns scheinbare Selbstverständlichkeiten abhanden gekommen sind. Wir „auf Sicht fahren“, wie man so schön sagt. Da braucht es doch viel Vertrauen in den Lauf der Dinge…

Auch bei Abschiedsprozessen kann Geduld mit dem Ungelösten manchmal eine große Rolle spielen. Ich glaube insgeheim, dass es eine Zeitdimension namens „Dazwischen“ gibt. Es sind die Momente inmitten tiefster Trauer, in denen wir für Sekunden wissen, dass es ein „Danach“ geben wird, in dem wir uns wieder zurecht finden können. Dass uns etwas trägt. Und dass da etwas ist, wofür es sich lohnt, weiterzumachen – ohne zu wissen wie das gehen könnte.

Was mich bewegt

Man muss den Dingen
die eigene, stille ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann,
alles ist austragen – und dann gebären …

Reifen wie der Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer kommen könnte.

Er kommt doch!

Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
so sorglos, still und weit …

Man muss Geduld haben.

Mit dem Ungelösten im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind.

Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages in die Antworten hinein.

Rainer Maria Rilke