Ahnengedenken. Oder: Linsen mit Spätzle
Die Natur zieht sich allmählich zurück, nach dem Werden und der Ernte dieses Jahres wird nun nach und nach auch das Vergehen sichtbar. Wir Menschen ziehen uns ebenfalls – nicht nur lockdownbedingt – in unsere Wohnungen und Häuser zurück. Das Laute im Außen macht allmählich dem Stillen im Inneren Platz. Allerheiligen und Allerseelen stehen vor der Tür.
Bräuche und Rituale für Verstorbene
Wir gedenken in diesen Tagen den Verstorbenen mit vielerlei Bräuchen und Ritualen – sehr alten, oft christlichen, und relativ neuen wie Halloween. Das keltisch-heidnische Fest „Samhein“ wurde ebenfalls zu dieser Zeit gefeiert: Die Ernte wurde zu dieser Zeit beendet, ein neues Jahr wurde eingeleitet. Man sagt, in diesen Nächten sei der Vorhang zur „anderen Welt“ besonders dünn, die Tore weit offen. Am mexikanischen „Día de Muertos„, dem Tag der Toten, der eigentlich drei Tage umfasst, gedenkt man seinen geliebten Verstorbenen fröhlich, laut und farbenfroh. Und was mache ich in diesen Tagen? Ein bisschen Halloween wird von meiner neunjährigen Tochter erwartet. An Allerheiligen werde ich wohl wie jedes Jahr zu den Gräbern meiner Lieben fahren. Im Friedwald ein Naturmandala am Grab meiner Schwester legen.
Eine kulinarische Umarmung
Ganz sicher aber werde ich auf meine persönliche Weise die Verbindung zu meiner verstorbenen Mama aufnehmen, und zwar, indem ich mein absolutes Lieblingsgericht koche: Linsen mit Spätzle und Saitenwürstle. Ich verbinde mit diesem Gericht so vieles: Liebe, Geschmacksfreude, Fürsorge, Trost. Es ist eine kulinarische Umarmung meiner Mutter.
Ein paar Monate, bevor meine Mama starb, hat mein Mann, der Journalist ist, für ein Hochzeitskochbuch eine Art Interview mit ihr geführt. Wir wollten nicht nur das Rezept verschenken, sondern auch ihre persönlichen Einwürfe wie beispielsweise: „Bedenke: Jede Linse ist anders!“ Oder bezogen auf die hochkomplexe Herstellung der Brenne: „Das macht man dann, bis die ganze Chose braun ist. Nicht hellbraun. SCHÖN braun.“ Und Sätze wie diesen: „Das gelingt beim ersten Mal nicht jedem.“
Küchenparty mit meiner Mutter
Solche Anmerkungen führten dazu, dass ich annahm, dass mir die Zubereitung dieses Gerichtes niemals möglich sein würde. Die Hürde erschien einfach zu hoch. Nach dem Tod meiner Mutter war das Rezept für lange Zeit irgendwie verschwunden. Vor zwei Jahren tauchte es in der Adventszeit plötzlich wieder auf. Es ist unbeschreiblich, was ich in meiner Küche erlebte, als ich kurz vor Weihnachten einfach loskochte. Dieser ganz spezielle Duft, den ich nur aus Mamas Küche kannte, Lorbeeren, Wacholderbeeren, Nelken… Alles war wieder da. Jahrelang war ich auf der Suche nach dem Geschmack gewesen, der den Linsen meiner Mutter nahekommen könnte. In keinem Restaurant und auch privat nicht hatte ich ihn gefunden. Bis zu dem Tag, an dem ich meine verstorbene Mutter anscheinend in meine Küche eingeladen habe.
Erzählt mir von Euren Rezepten!
Während ich diesen Text schreibe, merke ich, wie mein Magen knurrt – und mein Herz hüpft. Ein paar Tage müssen sich Magen und Herz noch gedulden. Dann findet die nächste Küchenparty mit meiner Mutter statt. Dabei darf übrigens niemals ein kleines Glas Rotwein fehlen…
Falls Ihr Interesse an diesem sehr persönlichen Rezept habt, sende ich es Euch gerne zu. Habt Ihr ebenfalls Lieblingsrezepte, die Euch an Eure lieben Verstorbenen erinnern? Wollt Ihr mir davon erzählen? Wie gedenkt Ihr an diesen Tagen Euren Verstorbenen?