Der Schneckenkönig – und was er mit meiner Arbeit zu tun hat

Ist das ein Füllhorn? Oder vielleicht eine Welle? Ich wundere und freue mich immer wieder darüber, was Menschen in meinem Logo erkennen. Hier kommt die Auflösung: Geometrisch betrachtet deutet mein Logo eine linksdrehende Spirale an. Sie symbolisiert für mich unseren Weg von außen nach innen, zurück zu unserem Ursprung. Inspiriert wurde das von meiner Herzensfreundin Melanie Reitz entwickelte Logo aber von einem Schneckenhaus. Und zwar nicht von einem gewöhnlichen, sondern von dem eines „Schneckenkönigs“. So werden Schnecken bezeichnet, deren Gehäuse linksgewunden, also spiegelbildlich verlaufen. Die Häufigkeit wird bei einer Weinbergschnecke auf 1:10.000 bis 1:1.000.000 geschätzt.

Das Wunder des Lebens

Nebenbei ein kleiner Wunder-Exkurs: Die Wahrscheinlichkeit, dass genau wir als Person mit genau unseren Genen geboren werden, ist wesentlich kleiner. Ein Autor namens Ali Binazir hatte von Wissenschaftlern gehört, dass diese Wahrscheinlichkeit bei 1:400 Billionen liege. Dr. Binazir hat noch weitere Vorbedingungen mit einbezogen und kam auf die im wahrsten Sinne des Wortes unvorstellbare Zahl von 1:102685000. Ob man dieser Berechnung im Detail nun Glauben schenken möchte oder nicht, spielt für mich keine Rolle, denn sie verdeutlicht für mich lediglich das Wunder jedes einzelnen Menschenlebens. Deswegen ist für mich klar: Wenn eine Wahrscheinlichkeit von 1: 1.000.000 genügt, um ein Schneckenkönig zu sein – dann ist ja wohl erst recht jeder Mensch eine Königin oder ein König!

Die Hülle der Verstorbenen

In meiner Arbeit verwende ich Schneckenhäuser immer dann, wenn ich vor allem Kindern symbolisch darstellen möchte, dass dort im Sarg oder in der Urne nicht der verstorbene Mensch, den sie kannten, liegt, sondern dessen Hülle. Das was übrig blieb. Ich erkläre, dass die Schnecken ihr Haus verlassen haben und dieses nun nicht mehr brauchen. Und dass das genau so bei der Beerdigung ist. So wie wir vielleicht gemeinsam ein leeres Schneckenhaus angemalt haben und dieses ja auch nicht einfach so wegwerfen, sondern einen guten Platz für es finden, bestatten wir die Hülle des Menschen feierlich. So habe ich auch meine damals dreijährige Tochter vorbereitet, als wir zu ihrer Tante, die im Sterben lag, ins Hospiz fuhren. Seitdem haben Schneckenhäuser eine besondere Bedeutung in unserer Familie.

Durch einen glücklichen Zufall bin ich Anfang dieses Jahres Hildegard Unger begegnet. Liebevoll bemalt sie leere Häuser von Weinbergschnecken und weiß über diese Tiere viel Wissenswertes und Verblüffendes zu berichten (gerne auch in Vorträgen). Einige Exemplare hat sie mir für Fotos zur Verfügung gestellt – vielen Dank nochmals, liebe Hildegard (und natürlich auch Ann-Kathrin Singer für die tollen Fotos)!

Die Fühler wieder ausstrecken

Für mich symbolisiert das Schneckenhaus nicht zuletzt die Rückzugsmöglichkeit, die ganz besonders Trauernde nach ihrem Verlust benötigen. Ich möchte mit meiner Arbeit dazu beitragen, dass in deren Umfeld das Verständnis dafür wächst, dass nur sie allein bestimmen, wann und zu welchen Zeiten sie die Fühler wieder ins Leben ausstrecken möchten.

 

Foto: Ann-Kathrin Singer